Über die Zeitwahrnehmung des Hundes
Anna Pietschmann am Dienstag, 12 November 2019
Ob Hunde über eine Art Zeitsinn verfügen, ist zweifelsohne eine spannende Frage. Leider können wir die Vierbeiner nicht fragen, ob sich eine ganze Stunde für sie genauso anfühlt wie wenige Minuten. Daher lohnt sich ein Blick auf verschiedene Studien, in welchen die Zeitwahrnehmung vom Hund näher beleuchtet wird.
Oh Herrchen, wann kommst du zurück
Ein Großteil der Haushunde dürfte gelegentlich Zeit getrennt von seiner Bezugspersonen verbringen. In einer Umfrage von schwedischen Familienhundbesitzern gaben beispielsweise 73 Prozent an, ihren Hund während der Arbeitszeit allein zu Hause zu lassen1. Erfreulicherweise scheinen viele Hunde diese Trennungsphasen gut zu verkraften. Vierbeiner, die ohne Probleme alleine bleiben, verbringen laut Untersuchungen diese Zeit größtenteils ruhend2.
Können Hunde einschätzen, wie viel Zeit bis zur Rückkehr ihrer Besitzer vergeht? Haben sie möglicherweise ein Bewusstsein dafür, ob es 30 Minuten oder 3 Stunden dauert, bis ihr Mensch zurückkommt? Eine Studie befasst sich konkret mit diesen Fragestellungen. Darin wurde untersucht, ob Hunde unterschiedliches Verhalten bei unterschiedlich andauernden Trennungszeiten zeigen. 12 Hunde durchliefen im Experiment drei unterschiedliche Testbedingungen. In diesen wurden sie entweder eine halbe Stunde, zwei Stunden oder vier Stunden allein gelassen. Die Forscher/innen interessierten sich dann für das Verhalten der Hunde bei der Rückkehr ihrer Besitzer. Sie beobachteten, dass die Hunde in Abhängigkeit der Trennungsdauer unterschiedliches Verhalten zeigten. Je länger der Zeitraum ohne Besitzer, desto aufgeregter waren die Vierbeiner wenn ihr Besitzer zurückkam. Sie interagierten bei längerer Trennung zudem mehr mit ihrem Menschen und wedelten stärker mit ihrem Schwanz. Da sich die Hundebesitzer in der Studie bei den Begrüßungen jeweils gleich verhielten, ist das unterschiedliche Verhalten der Hunde eher den Trennungszeiten zuzuschreiben.
Die Ergebnisse legen nah, dass Hunde ein gewisses Empfinden für Zeiträume haben und diese hinsichtlich ihrer Länge unterscheiden können.3
Mentale Zeitreisen
Beim Menschen wird zwischen zwei dem semantischen und dem episodischen Gedächtnis unterschieden. Während im ersteren Fakten abgespeichert werden, ist zweiteres der Ablageort für persönliche Erlebnisse. Das episodische Gedächtnis kann also auch als eine Art biografisches Gedächtnis gesehen werden. Greifen wir Menschen auf die im episodischen Gedächtnis gespeicherte Erlebnisse zurück, wird dieser Vorgang auch als mentale Zeitreise bezeichnet. Dabei stehen drei Fragen im Zentrum: Was ist passiert, wo ist es passiert und wann? Während einer mentalen Zeitreise rekonstruieren wir sozusagen, was wir an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit erlebt haben. Das ermöglicht sinnvollerweise, Fehler der Vergangenheit in der Gegenwart zu vermeiden und die Zukunft zu planen.
Mentale Zeitreisen wurden lange Zeit als einzigartige menschliche Fähigkeit gesehen. Auch bezüglich unsere Vierbeiner ist der Spruch “Hunde leben nur im Hier und Jetzt” oft zu hören. Mittlerweile gibt es aber mehrere Hinweise, dass auch einige Tierarten im kleinen Rahmen zu mentalen Zeitreisen fähig sind. So planen Orang-Utans und Gorillas im Voraus, welche Werkzeuge sie für den nächsten Tag brauchen. Dementsprechend gestalten sie die Auswahl, Lagerung und den Transport der Werkzeuge.4 Die zu den Rabenvögeln gehörenden Buschhäher vergraben ihre Futter, um später von den Vorräten fressen zu können. Dabei merken sie sich, welche Futtersorten schneller verderben. Die schnell verderblichen Vorräte graben sie dann vor dem länger haltbaren Futter aus.5
Bisher gibt es keine Arbeit, die sich konkret mit Phänomen der mentalen Zeitreise bei Hunden befasst. Anhaltspunkte dafür, dass Hunde über diese Fähigkeit verfügen, gibt es durch Studien zur sogenannten verzögerten Imitation.
Hunde sind in der Lage, vom Menschen gezeigte Handlungen nachzuahmen.6 Das allein ist schon eine bemerkenswerte Leistung, denn der Hund muss die gezeigten Aktionen auf den eigenen, vierbeinigen Körper übertragen. Mittels Training kann der Hund so lernen, auch zuvor nicht bekannte, völlig neue Handlungen auf Abruf zu imitieren. In einer Untersuchung wurde den Testhunden beigebracht, eine vorgeführte Aktion nach dem Kommando “Do it” auszuführen. Zum größten Teil waren die Hunde in der Lage, die gezeigte Handlung zu imitieren, selbst wenn zwischen der Demonstration und dem Abfragen durch das Kommando “Do It” 24 Stunden lagen. DIe Vierbeiner konnten sich also 24 Stunden nach einer vom Menschen gezeigten Aktion gezielt an dieses erinnern, sie aus dem Gedächtnis abrufen und auch ausführen.7
Das spricht dafür, dass auch Hunde zumindest in begrenztem Maß zu mentalen Zeitreisen in der Lage sind und sich gezielt an Ereignisse aus der Vergangenheit zurückerinnern können.
Der Blick ins Hirn
Bei uns Menschen wurde und wird die Zeitwahrnehmung aus den unterschiedlichsten Perspektiven heraus erforscht. So sind im Gehirn bereits einige für die Zeitwahrnehmung bedeutsame Regionen ermittelt worden. Argumente für eine komplexeres Zeitgefühl bei Hunden liefert in den vorangegangenen Studien nur das Verhalten der Hunde. Eine aktuellere Untersuchung stützt jedoch die Befunde auch durch Untersuchungen des Hirns.
In der im Oktober 2018 veröffentlichten Studie ließen die Wissenschaftler/innen Mäuse auf einem Laufband rennen. Währenddessen durchliefen die Mäuse eine virtuelle Tour durch mehrere Gänge. Die Umgebung wurde den Mäusen künstlich durch mehrere Bildschirme vermittelt. Auf der Hälfte des virtuellen Gangs wurde eine Tür eingeblendet, die sich nach genau sechs Sekunden öffnete. Die Mäuse konnten dann zu einer Belohnung gelangen. Nachdem die Mäuse ihre Tour mehrmals wiederholten, tauchte die Tür nicht mehr auf der Bildschirmpräsentation auf. Trotzdem warteten die Mäuse zunächst zuverlässig 6 Sekunden, bevor sie weiter rannten.
Während der Wartezeit konnte mittels eines Mikroskops beobachtet werden, was im Mäusegehirn vor sich geht. Dabei waren spezielle Zellen in einer Hirnregion aktiv, die beim Menschen in Verbindung mit dem Wahrnehmen von Zeitabständen und Zeitintervallen stehen. Die bei Nagern gewonnenen Befunde sind wahrscheinlich auch auf den Hund übertragbar, da er wie andere Säugetiere auch über die Struktur, medialer entorhinaler Kortex genannt, verfügt. 8
Fazit
Hund sind mehreren Studien zufolge wahrscheinlich in der Lage, zwischen unterschiedlichen Zeiträumen und Zeitpunkten zu unterscheiden. Sie besitzen demzufolge ein grundlegendes Zeitgefühl und bemerken beispielsweise einen Unterschied, ob sie über kurze oder lange Zeiträume alleine gelassen werden. Ebenso leben sie nicht ausschließlich im Hier und Jetzt, sondern können Ereignisse aus der Vergangenheit gezielt abrufen.
Titelbild von Sur
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Norling, Y., Keeling, L., 2010. Owning a dog and working: a telephone survey of dog owners and employers in Sweden. Anthrozoös 23, 157–171 ↩
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Aslaksen, S., Aukrust, K., 2003. Hundens adferd når den er hjemme alene. Norges Landbrukshøgskole, Institutt for husdyr-og akvakulturvitenskap. Cand. Scient. Hovedoppgave ↩
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Rehn, T. & Keeling, L.J. (2011). The effect of time left alone at home on dog welfare. Applied Animal Behaviour Science 129, 129-135 ↩
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Mulcahy, N. J., & Call, J. (2006). Apes save tools for future use. Science,312(5776), 1038-1040. ↩
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Correia SP, Dickinson A, Clayton NS (2007), “Western scrub-jays anticipate future needs independently of their current motivational state.” Curr Biol 17(10):856-61 Details ↩
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Huber L, Range F, Voelkl B, Szucsich A, Virányi Z, Miklósi Á. (2009) The evolution of imitation: what do the capacities of non-human animals tell us about the mechanisms of 514 imitation? Phil. Trans R Soc B 364:2299-2309 ↩
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Fugazza, C., Pogány, Á., & Miklósi, Á. (2015). Do as I… Did! Long-term memory of imitative actions in dogs (Canis familiaris). Animal Cognition 1-7 ↩
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James G. Heys, Daniel A. Dombeck. Evidence for a subcircuit in medial entorhinal cortex representing elapsed time during immobility Nature Neuroscience, 2018. ↩