Das Qualzucht Paradoxon
Anna Pietschmann
am Samstag, 13 Juni 2020Warum wollen so viele Menschen einen lebenslang leidenden Hund? Mittlerweile wird von unterschiedlichsten Stellen ausgiebig über das Leid extrem kurzköpfiger Rassen wie dem Mops oder der Französischen Bulldogge aufgeklärt. Dennoch erfreuen sich die Rassen nach wie vor großer Beliebtheit. Eine Studie befasst sich mit den Gründen, warum trotz zunehmenden Bewusstsein über Qualzuchten dennoch so viele brachycephale Hunde erworben werden.
Wenn die Gesundheit unter der Optik leidet
Durch die gezielte Zucht hat der Mensch Hunde in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Farben hervorgebracht. So entstanden auch Hunderassen mit einem verformten Schädel, der im Vergleich zum normal geformten Hundekopf deutlich breiter und kürzer ist. Optisch entsteht dadurch ein für viele niedlich und kindlich wirkendes, rundes Gesicht.1 Leider führt die Schädelverformung nicht nur zu einer putzigen Optik, sondern auch zu verformten und verengten Atemwegen. Dadurch haben die kurzköpfigen Hunde selbst bei geringer körperlicher Beanspruchung und Wärme schwere Atemnot. Eine häufige Folge des so entstehenden Sauerstoffmangels sind Bluthochdruck und Herzschäden.
Bedingt durch die Engstellen in den Atemwegen müssen die kurzköpfigen Hunden selbst für das normale Atmen einen deutlich erhöhten Kraftaufwand aufbringen. Das schädigt auf lange Sicht die Luftröhre und den Kehlkopf. Beides kann zum bei den Rassen gehäuft auftretenden Erstickungstod führen. Als wäre lebenslange Atemnnot noch nicht Qual genug, gibt es gerade bei den populärsten Kurzkopfrassen noch eine riesige Liste weiterer Krankheiten. Dazu gehören Zahn- und Kieferfehlstellungen, ein verformter Bewegungsapparat, schmerzhafte, oft in Lähmungen resultierende Bandscheibenvorfälle und Hauterkrankungen.2
Extrem kurzköpfige Rassen haben also eine zu großen Teilen drastisch eingeschränkte Lebensqualität.34 Da stellt sich die Frage, warum trotzdem so viele Personen sich für diese Rassen entscheiden. Um dieser Frage nachzugehen, analysierten Forscher/innen mit einer großen Umfrage, welche Motivationen hinter dem Erwerb sogenannter brachycephaler Rassen stehen. Insgesamt wurden dafür die Befragungen von 2168 Besitzern der Rassen Mops, Französische Bulldogge oder Englische Bulldogge ausgewertet. 5
Besitzer von brachyzephalen Hunden
Die teilnehmenden Besitzer der Umfrage befanden sich hauptsächlich in der Altersgruppe von 25-34 Jahren. Möglicherweise sind Personen dieser Altersspanne empfänglich für die Präsenz entsprechender Rassen in den sozialen Medien und haben deswegen einen entsprechenden Hund erworben. Diese Überlegung wird auch in der Studie erwähnt. Allerdings wurde der Großteil der Teilnehmenden über soziale Internetplattformen wie Facebook, Twitter und Rassenforen rekrutiert.
Auch die Hunde der jüngeren Besitzer waren überdurchschnittlich jung. Viele gesundheitliche Probleme der kurzköpfigen Hunde werden umso dramatischer, je älter die Tiere sind. Von daher ist davon auszugehen, dass sich der in der Studie angegebene Gesundheitszustand bei den meisten Hunden noch verschlechtern wird.
Atemprobleme
Um die für kurzköpfige Hunde typischen Atemprobleme zu erfassen, wählten die Forscher/innen zwei unterschiedliche Wege. Einmal befragten sie die Teilnehmenden direkt, ob ihr Hund Atemprobleme hätte. Mittels weiterer Fragen wurde quasi versteckt ermittelt, inwieweit die Hunde tatsächlich davon betroffen waren. Hierfür wurden die Besitzer beispielsweise befragt, ob ihr Hund bei Hitze stark hechelt, häufiger mit offenem Mund und erhöhter Kopfposition schläft, oder manchmal kurze Atemaussetzer hat. Die interessante Beobachtung: Nur 17 Prozent der Besitzer gaben bei der direkten Befragung an, dass ihr kurzköpfiger Hund von Atemproblemen betroffen ist. Anhand der verdeckten Fragen wurde aber deutlich: Fast 40 Prozent der noch größtenteils jungen Hunde litten deutlich unter Atemnot und wiesen mehrere Symptome von Atemproblemen auf.
An dieser Stelle sind bereits die ersten Widersprüche erkenntlich. Die deutlichen Symptome von Atemnot werden von manchen Besitzern entweder geleugnet, nicht erkannt oder als rassetypische, folgenlose Eigenschaft gewertet. Bevor die Atemprobleme als wirklich bedeutsam für das Tier eingeschätzt werden, müssen möglicherweise erst deutlich drastischere Zeichen wie gehäufte Erstickungsanfälle auftreten. Ein ähnliches Phänomen wurde bereits im Rahmen einer anderen Studie beobachtet. Dort nahmen über die Hälfte der Besitzer kurzköpfiger Hunde die objektiv vorhandenen rasselnden und schnorchelnden Atemgeräusche laut ihren Angaben gar nicht mehr wahr.6
Beurteilung der Gesundheit
Weitere Widersprüche zeigen sich bei der Frage nach dem allgemeinen Gesundheitszustand. Hier gaben über 70 Prozent der Befragten an, ihr Hund befände sich im best möglichsten oder sehr gutem Gesundheitszustand. Überdurchschnittlich häufig fiel außerdem die Aussage, der eigene Vierbeiner sei gesünder als andere Rasseexemplare. Insgesamt ist dadurch der Trend sichtbar, dass die Besitzer die Gesundheit ihres Hundes massiv überschätzen und die medizinischen Einschränkungen unterschätzen.
Geliebter Mops
Den Personen, welche extrem kurzköpfige Rassen erwerben, sind ihre Tiere der Untersuchung zufolge so ganz und gar nicht egal. Im Gegenteil, die Bindung und emotionale Nähe zum Hund wurde mittels eines speziellen Fragebogens gemessen. Die verwendete Monash Dog-Owner Relationship Scale wird eingesetzt, um die Hund-Halter Beziehung standardisiert zu erfassen und vergleichen zu können. Laut den Messwerten weisen die Halter von Mops, Französischer und Englischer Bulldogge eine ganz besonders starke Bindung und emotionale Nähe zu ihren Hunden auf.
Wieso haben Menschen, denen der Hund offensichtlich äußerst wichtig ist und der bei ihnen einen hohen Stellenwert in ihrem Leben hat, so wenig Einsicht, was das Leiden ihrer Vierbeiner betrifft? In der Studie wird ein Zusammenhang mit der sogenannten kognitiven Dissonanz vermutet.
Kognitive Dissonanz
Das Phänomen der kognitiven Dissonanz ist aus der Sozialpsychologie bekannt. Es kann zumindest teilweise die Befunde der Befragung erklären. Handeln wir entgegen unserer eigenen Wert- und Moralvorstellungen oder widersprüchlich zu einer bestehenden Informationslage, entsteht oft ein unangenehmes Gefühl. Diesen selbstverständlich unbehaglichen Zustand versuchen wir automatisch schnell zu beseitigen. Das eigene Handeln wird dann schöngeredet und auf irgendeine Art und Weise rechtfertigt.
Klassische Beispiele kognitiver Dissonanz sind unangenehme Vorsorgeuntersuchungen für schwere Erkrankungen. Oft weiß man einerseits um dessen Sinnhaftigkeit. Andererseits möchte man die damit verknüpften teils unangenehmen Untersuchungen eigentlich nicht unbedingt erdulden. Um den Widerspruch aufzulösen, werden das Erkrankungsrisiko oder die Notwendigkeit der Untersuchung kleingeredet und man schiebt Gründe wie ein mangelndes Zeitbudget vor. Auch ist sehr vielen rauchenden Menschen die Gefährdung der Gesundheit bewusst. Trotzdem wird geraucht und der Fokus auf die vielen Beispiele von Personen gelenkt, die trotz Kettenrauchen sehr alt geworden sind. Diese Tendenzen zeigen sich auch, wenn wir eine unumkehrbare Entscheidung getroffen haben. Die Vorteile der Auswahl werden dann hervorgehoben, während die Nachteile der Alternative übermäßig betont werden. So kann eine eher ungünstige Entscheidung im Nachhinein beschönigt werden.
Das Beseitigen von kognitiver Dissonanz, also den als unangenehm empfundenen Widersprüchen, hat durchaus seinen Sinn. Die Selbstrechtfertigungen unterstützen ein positives, stabiles Selbstbild.
In Bezug auf die kurzköpfigen Rassen sieht man jedoch die negativen Auswirkungen. Ein bedeutsamer Anteil von Haltern in der Studie scheinen den fragwürdigen Erwerb von gesundheitlich eingeschränkten Tieren schönzureden. Der eigene kurzköpfige Hund wird als besonders gesundes Rasseexemplar bewertet und Atemprobleme einfach geleugnet.
Fazit
Diese Arbeit scheint ein auch in anderen Studien auffälliges Muster zu bestätigen: Die Halter von extrem kurzköpfigen Rassen tendieren dazu, deren starke gesundheitlichen Beeinträchtigungen auszublenden. Ebenso bewertet ein beträchtlicher Anteil der Besitzer ihren kurzköpfigen Hund als überdurchschnittlich gesund, was bei der hohen Anzahl an Rassevertretern mit Atembeschwerden und weiteren rassetypischen Krankheiten schlicht nicht möglich ist. Aufklärung über das Leid von kurzköpfigen Hunden ist für diesen Fall möglicherweise nicht effektiv genug. Trotz des Bewusstseins über verschiedene typische und häufig auftretende Krankheiten, wird die Betroffenheit des eigenen Hundes geleugnet. Möglicherweise wird bereits bei der Kaufplanung davon ausgegangen, dass der eigene Hund besonders gesund und eine Ausnahme sein wird. Dies könnte am Phänomen der kognitiven Dissonanz liegen. Wieder einmal scheint nur ein strenges Ausstellungs- und Zuchtverbot die potenziell einzig effektive Maßnahme gegen die Vermehrung und den Kauf von kurzköpfige, leidenden Rassen zu sein.
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Archer J, Monton S. Preferences for Infant Facial Features in Pet Dogs and Cats. Ethology. 2011;117(3):217–26. ↩
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Honey L. Future health and welfare crises predicted for the brachycephalic dog population. Veterinary Record. 2017;181(21):550. pmid:29175912 ↩
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Davis MS, Cummings SL, Payton ME. Effect of brachycephaly and body condition score on respiratory thermoregulation of healthy dogs. Journal of the American Veterinary Medical Association. 2017;251(10):1160–5. pmid:29099251 ↩
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Roedler FS, Pohl S, Oechtering GU. How does severe brachycephaly affect dog’s lives? Results of a structured preoperative owner questionnaire. The Veterinary Journal. 2013;198(3):606–10 ↩
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Packer RMA, O’Neill DG, Fletcher F, Farnworth MJ (2019) Great expectations, inconvenient truths, and the paradoxes of the dog-owner relationship for owners of brachycephalic dogs. PLOS ONE 14(7): e0219918 ↩
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Packer, R M A and Hendricks, A and Burn, C C (2012) Do dog owners perceive the clinical signs related to conformational inherited disorders as 'normal' for the breed? A potential constraint to improving canine welfare. ANIMAL WELFARE, 21. pp. 81-93 ↩