Der Chihuahua - eine Qualzucht?

Anna Pietschmann

am Freitag, 28 Mai 2021

Der Chihuahua gehört zu den beliebtesten Hunderassen. Dem Rassestandard folgend sollte ein ausgewachsener Chihuahua nicht mehr als 3 kg wiegen. Damit besitzt der Chi eine wesentlich geringere Körpermasse als sein Urvater, der Wolf. Für ihre kleine Größe scheinen Chihuahuas allerdings einen großen Preis zu bezahlen. Und der betrifft vor allen Dingen ihren Kopf.

Wenn der Schädel nicht zusammenwächst

Hunde werden ebenso wie Menschen mit einem noch unfertigen Schädel geboren. Zwischen den einzelnen Knochenplatten, die später die geschlossene Schädeldecke bilden, befinden sich Lücken. Diese Lücken im Schädel, Fontanellen genannt, erfüllen mehrere wichtige Zwecke. Während der Geburt müssen die Welpen durch den engen Geburtskanal der Mutterhündin passen. Durch die Fontanellen kann während der Geburt der Schädel etwas zusammengedrückt werden und so besser durch den Geburtskanal gelangen. Außerdem wächst das Gehirn nach der Geburt noch weiter und nimmt besonders in den ersten Lebenswochen schnell an Größe zu.

Durch die Fontanellen kann dem Hirn genug Platz gegeben werden, denn es wächst schneller als die knöchernen Schädelplatten. Mit zunehmendem Lebensalter schließen sich die Fontanellen. Beim Hund ist dieser Prozess mit durchschnittlich 4 Lebensmonaten abgeschlossen. Während die Fontanellen noch offen sind, ist das Hirn an den Knochenlücken nur durch eine Schicht aus Bindegewebe geschützt. Das geht mit einem erhöhten Verletzungsrisiko einher.

Die Folgen von offenen Schädeldecken bei Chihuahuas

Bei vielen Kleinhundrassen und insbesondere dem Chihuahua bleiben die Fontanellen jedoch lebenslang offen. Das bedeutet, dass diese Hunde mit offenen Schädelstellen lebenslang sehr verletzungsanfällig bleiben. Bereits kleinere Traumata können daher zu Hirnverletzungen des Chihuahuas führen. Dazu gehören beispielsweise herunterfallende Gegenstände, ein versehentliches Treten oder das Tapsen mit der Pfote eines größeren Hundes.1

Zusätzlich zeigte die Auswertung der Daten von Schädelbrüchen drei großer veterinärmedizinischer Kliniken, dass der Chihuahua neben dem Yorkshire Terrier überdurchschnittlich häufig betroffen ist.2 Bei beiden Rassen besteht das Problem der offenen Fontanellen, welche die Schädeldecke insgesamt instabiler werden lassen. Dadurch kann es leichter zu Brüchen kommen.

Schätzungen zufolge leidet die Mehrheit der Chihuahuas an mindestens einer offenen Schädelstelle. In einer sich gerade im Review befindenden Untersuchung wiesen 92 Prozent der mittels Computertomographie begutachteten Chihuahuas offene Fontanellen auf.3 Je kleiner die Tiere und je runder und stärker nach oben gewölbt ihr Schädel war, desto mehr offene Stellen wiesen sie dabei auf.4

Kiviranta AM, Rusbridge C, Lappalainen AK, et al. Persistent fontanelles in Chihuahuas. Part I: Distribution and clinical significance. J Vet Intern Med. 2021.

Zu wenig Platz für das Gehirn

Neben den offenen Schädelstellen, die den Chihuahua sehr verletzungsanfällig werden lassen, treten noch weitere Probleme auf. Zu diesen gehört die Chiari ähnliche Malformation. Diese Krankheit ist durch ein Missverhältnis zwischen Schäden und dem Gehirn charakterisiert. Durch den extrem klein gezüchteten Kopf findet dabei das Gehirn des Hundes nicht mehr genügend Platz im Schädel. Als Folge dieses Platzmangels werden oft Hirnteile durch das für die Blut- und Nervengefäße vorgesehenes Öffnung im hinteren Bereich des Schädels gepresst. In einer Untersuchung finnischer Chihuahuas wiesen alle 53 Tiere diese Schädeldeformation auf.5 Auch bei anderen Kleinhundrassen wie dem Cavalier King Charles Spaniel, dem Yorkshire Terrier und dem Pomeranian tritt diese gehäuft auf.67

Häufige Folgen der Chiari Malformation sind Kopf- und starke Nervenschmerzen. Während einige Tiere die Schmerzen direkt mittels Schreien äußern, zeigen andere leicht zu übersehende Beschwerden. Die Tiere haben den Drang sich am Kopf zu kratzen, vermeiden dabei aber direkten Körperkontakt. Das Ergebnis ist das sogenannte Phantomkratzen, also Kratzbewegungen ohne die Haut zu berühren. Andere diskrete Anzeichen sind das Pressen des Kopfes gegen Gegenstände und Gangunsicherheiten.

Wasserkopf bei Chihuahuas

Im Gehirn befindet sich eine klare Flüssigkeit, Liquor oder Gehirnwasser genannt. Diese schützt das empfindliche Nervensystem und ist wichtig für dessen Stoffwechsel. Hierfür produziert der Körper konstant neues Gehirnwasser und sorgt für einen Abtransport von alter Flüssigkeit über die Blutgefäße. Bei einem gesunden Hund besteht also ein ausgewogener, stabiler Kreislauf aus Neuproduktion und Abtransport. Ist der Hund am Wasserkopf erkrankt, kommt es zu einem Ungleichgewicht, welches zu einer übermäßigen Zunahme von Gehirnwasser im Kopf führt. Zunächst vergrößern sich dadurch die mit Flüssigkeit gefüllten Hohlräume im Hirn. Dadurch wird das Hirngewebe zunehmend verdrängt und gequetscht. Bei einigen Tieren mit offenen Fontanellen dehnt sich der Kopf zunehmend aus. Unbehandelt kommt es im Verlauf zum Absterben von Hirngewebe.

Im Frühstadium oder bei geringgradiger Ausprägung der Krankheit sind in der Regel nur wenig Symptome zu sehen. In schwereren Fällen kommt es zu deutlichen neurologischen Symptomen. Die erkrankten Hunde haben Koordinations- und Hörstörungen und Kopfschmerzen. Der Wasserkopf geht auch oft mit einer Störung Empfindungen einher. In diesem Fall empfinden die Hunde beispielsweise bereits ein einfaches Streicheln über das Fell als äußerst schmerzhaft.

Chihuahuas leiden gehäuft unter einem Wasserkopf.89 Auch hier scheint sich abzuzeichnen: Je kleiner und leichter die Zuchttiere sind, desto höher das Risiko des Nachwuchses, an einem Wasserkopf zu erkranken. Heimtückischerweise können Veränderungen im Hirn durch ein Ungleichgewicht des Gehirnwassers auch unentdeckt bleiben. Solche geringgradigen Ausprägungen des Wasserkopfs treten gehäuft bei kurzköpfigen, brachyzephalen Rassen wie dem Chihuahua oder der Französischen Bulldogge auf. Im inneren des Schädels kommt zu Veränderungen, die von außen nicht erkenntlich sind. In einer Studie zeigte sich, dass Hunde selbst bei einer geringen Erhöhung der Flüssigkeit im Hirn weniger weiße Hirnmasse aufweisen als gesunde Hunde der gleichen Größe.10

Zusammenfassung

Chihuahuas sind anfällig für eine ganze Reihe von Erkrankungen, die den Schädel betreffen. Durch offene Schädelstellen bleiben sie lebenslang verstärkt verletzungsanfällig. Es gibt erste Hinweise, dass die Löcher im Kopf bei nahezu allen Exemplaren der Rassen vorhanden sind. Daneben leiden Chihuahuas verstärkt unter der Chiari-ähnlichen Malformation, bei welcher das Gehirn zu groß für den kleinen Kopf ist. Eine weitere gehäuft auftretende Krankheit der Chihuahuas ist der Wasserkopf. Beide Erkrankungen gehen in vielen Fällen mit Schmerzen und einer stark eingeschränkten Lebensqualität einher. Je kleiner, leichter und rundköpfiger die Chihuahuas sind, desto stärker scheinen sich die Erkrankungen auszuprägen.

Zum Weiterlesen: Blogpost zur Schädelproblematik

Titelbild von anthony kelly

  1. Amid, Adetayo & Gainey, Joseph. (2018). Treatment of trauma induced seizures associated with molera in a crossbred Chihuahua dog. 8. 100-102.

  2. Amengual‐Batle, Pablo, et al. “Traumatic Skull Fractures in Dogs and Cats: A Comparative Analysis of Neurological and Computed Tomographic Features.” Journal of Veterinary Internal Medicine, vol. 34, no. 5, 2020, pp. 1975–1985., doi:10.1111/jvim.15838.

  3. Kiviranta AM, Rusbridge C, Lappalainen AK, et al. Persistent fontanelles in Chihuahuas. Part I: Distribution and clinical significance. J Vet Intern Med. 2021.

  4. Kiviranta A-M, Rusbridge C, Lappalainen AK, Junnila JJT, Jokinen TS. Persistent fontanelles in Chihuahuas. Part II: Association with craniocervical junction abnormalities, syringomyelia, and ventricular volume. J Vet Intern Med. 2021;1–9. https://doi.org/10.1111/jvim.16123

  5. Kiviranta AM, Rusbridge C, Laitinen-Vapaavuori O, et al. Syringomyelia and Craniocervical Junction Abnormalities in Chihuahuas. J Vet Intern Med. 2017;31(6):1771-1781. doi:10.1111/jvim.14826

  6. Dewey CW, Berg JM, Barone G, et al. Foramen magnum decompression for treatment of caudal occipital malformation syndrome in dogs. J Am Vet Med Assoc 2005;227:1250–1255, 1270–1

  7. Ortinau N, Vitale S, Akin EY, et al. Foramen magnum decompression surgery in 23 Chiari‐like malformation patients 2007–2010: Outcomes and owner survey results. Can Vet J 2015;56:288–291.

  8. Braund KG: Hydrocephalus. In Clinical Syndromes in Veterinary Neurology. St. Louis, Mosby, 1994, pp 146-148

  9. Selby LA, Hayes Jr HM, Becker SV: Epizootiologic features of canine hydrocephalus. Am J Vet Res 40:411-413, 1979.

  10. Schmidt MJ, Laubner S, Kolecka M, et al. Comparison of the Relationship between Cerebral White Matter and Grey Matter in Normal Dogs and Dogs with Lateral Ventricular Enlargement. PLoS One. 2015;10(5):e0124174. Published 2015 May 4. doi:10.1371/journal.pone.0124174