Harte Happen — sind Geweihstücke und Co. gefährlich?
Anna Pietschmann
am Sonntag, 15 Mai 2016Geweihstücke wandern als Kauartikel immer häufiger in Hundehaushalte. Sie sollen dem Kaubedürfnis des Hundes Rechnung tragen, die Zähne pflegen und nebenbei den Vierbeiner noch mit wertvollen Mineralien und Spurenelementen versorgen. Diese vermeintlich natürliche Art der Zahnpflege und Beschäftigung birgt aber Risiken.
Grund zur Sorge?
2013 veröffentlichten fünf der weltweit führenden Spezialisten für veterinärmedizinische Zahnheilkunde einen Artikel, in welchem sie eindringlich vor den im Zoohandel erhältlichen Geweihstücken warnen. Grund für diese Warnung war die deutliche Zunahme von zersplitterten Zähnen bei ihren Hundepatienten. Als Ursache für diese schmerzhaften Zahnverletzungen wurde die Gabe von Geweihstückchen als Kauartikel identifiziert.1
Zahnabsplitterungen durch harte Objekte
Das Risiko für Absplitterungen der Backenzähne ist besonders hoch, wenn der Hund einen sehr harten Kauartikel unter Einsatz der hinteren Zähne bearbeitet. Fatal ist bei dieser Art der Zahnverletzung, dass sie in der Regel erst relativ spät entdeckt wird. Kleine Absplitterungen und ihre Bruchlinien sind in der Regel nur schwer erkennbar. Zudem kontrollieren nur die wenigsten Hundebesitzer regelmäßig den Zustand der Backenzähne und übersehen derartige Zahnschäden.
Da Hunde nur eine dünne Zahnschmelzschicht besitzen, wird bei solch einer Verletzung immer die schmerzempfindliche Zahnsubstanz freigelegt. Der Hund leidet also unter Schmerzen, unabhängig davon, ob eine große oder kleine Absplitterung vorliegt. Bedingt durch die freiliegende Zahnsubstanz können Bakterien in das innere des Zahns eindringen und so eine gefährliche Zahnvereiterung verursachen. 2
Ursächlich für das hohe Verletzungsrisiko ist der spezielle Aufbau des Hundegebisses. Die scherenartige Konstruktion der Reißzähne sorgt dafür, dass Sehnen, Muskelstränge, Knorpel und Knochen von Beutetieren schneidend-quetschend durchtrennt werden können. Durch die zackige Struktur der Reißzähne wird die Schneidekraft gefördert. Gleichzeitig sind diese nützlichen Zacken aber sehr splitteranfällig.
Sowohl die Scherenstellung als auch die gezackte Oberfläche der Reißzähne führen in Kombination mit der starken Beißkraft des Hundes zu einem hohen Risiko, durch Beißen auf harte Objekte Zahnabsplitterungen zu erleiden.3
Der Zahn- und Kieferapparat des Hundes ist nicht darauf ausgelegt, harte Gegenstände wie Geweihstücke zu zerkleinern.
Die Folgen
Auch bei schweren Zahnschmerzen zeigen viele Hunde leider nur selten deutlich erkennbare Symptome. Plötzliche Verhaltensänderungen, erhöhte Sensibilität, verstärktes Zurückziehen und reduzierte Verspieltheit gehören zu den möglichen Anzeichen. Eindeutigere Hinweise liefern Hunde, die Kauartikel nur noch mit einer Kieferseite benagen. Wird eine Absplitterung des Reißzahnes festgestellt, kann dem Hund häufig nur durch Ziehen des Zahns geholfen werden. Kritisch dabei ist, dass die Reißzähne besonders wichtige Funktionsträger im Hundegebiss darstellen.45
Weitaus kritischer ist jedoch die große Menge an Hunden, die über einen langen Zeitraum unter unentdeckten Zahnverletzungen leidet.6
Aber in der Wildnis...
Warum sollte man dem Hund harte Kaugegenstände verwehren, wenn die wilden Artgenossen regelmäßig mit ihrem Gebiss große harte Knochen benagen? Nun, die Wildnis ist nicht unbedingt die beste Garantie für ein langes und verletzungsfreies Leben.
Generell ist die Rate an Zahnverletzungen bei Beutegreifern umso größer, je höher der Anteil an verzehrten Knochen in ihrem Nahrungsspektrum ist.7 In einer Studie wurden bei 48 Prozent der Afrikanischen Wildhunde Zahnabsplitterungen festgestellt.8 In einer weiteren an englischen Jagdhunden durchgeführten Studie wiesen die mit Tierkadavern und somit harten Knochen gefütterten Exemplare eine besonders hohe Rate an solchen Splitterverletzungen auf. 9
Fazit
Harte Kauartikel wie Geweihstücke, Kauwurzeln und gewichtstragende Knochen sind häufig die Ursache für schmerzhafte Zahnverletzungen. Das Risiko kann einfach umgangen werden, indem man auf eine der zahlreichen weicheren, weniger gefährlichen Alternativen zurückgreift.10
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Van Valkenburgh B. Incidence of tooth breakage among large, predatory mammals. Am Nat. 1988;131: 291–302. ↩
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Steenkamp, G., Gorrel, C., Oral and dental conditions in adult African wild dog skulls: a preliminary report. Journal of Veterinary Dentistry 1999;16:65-68. ↩
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Robinson J G A and Gorrel C (1997). The oral status of a pack of foxhounds fed a “natural” diet, Proceedings of the World Veterinary Dental Congress, Birmingham, UK: 35-37. ↩