"Is mir egal" - Über die Auswirkung vom Stress des Menschen auf unabhängige Hunderassen
Anna Pietschmann
am Sonntag, 16 Mai 2021Mittlerweile gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass unterschiedliche Eigenschaften des Menschen eine Auswirkung auf den Hund haben können. Dass gestresste Personen das Stresslevel auf ihre Tiere der Rassen Border Collie und Sheltie übertragen könnten, zeigte eine Studie aus dem Jahr 2019. Nun wurde untersucht, ob das gleiche Phänomen auch bei Hunderassen zu beobachten ist, die als weniger kooperativ gelten.
Gefühlsansteckung unter Menschen
Unsere eigenen Gefühle und Emotionen können ansteckend auf andere Personen wirken. Dieses Phänomen wird als Gefühlsansteckung bezeichnet. Dabei lösen die beobachteten Gefühle und Zustände beim Beobachter automatisch ähnliche Emotionen aus. Zur Gefühlsansteckung zwischen Menschen gibt es bereits zahlreiche Veröffentlichung.
Beispielsweise zeichnete der Wissenschaftler Totterdell die Gefühle von Spielern der Ballsportart Cricket auf. Mittels kleiner Taschencomputer gaben sie im Versuchszeitraum regelmäßig an, wie sie ihre Stimmung und Spielleistung bewerteten. Befand sich gesamte Team in einer eher positiven Stimmung, waren die individuellen Spieler auch besser gelaunt.1 Allein die Beobachtung gut gelaunter Menschen kann zu besserer Stimmung und positiven Emotionen bei den Betrachtern führen. Wütende Menschen lösen hingegen auch bei den Beobachtenden schlechtere Laune aus.2 In einer weiteren Studie konnte die Gefühlsansteckung von Angst unter Patienten beobachtet werden, denen eine Operation bevorstand. Befanden sich im Wartezimmer andere besorgte Patienten, zeigten sich die wartenden Personen ängstlicher als diejenigen, die das Wartezimmer mit entspannten Menschen teilten. 3
Wie genau die Gefühlsansteckung funktioniert, ist noch nicht bekannt. Wichtig ist, dass die Übernahme von emotionalen Zuständen anderer in vielen Fällen unbewusst und automatisch geschieht. Das zeigen auch die Befunde einer Studie, in denen die Pupillengröße der teilnehmenden Probanden und Probandinnen aufgezeichnet wurde. Betrachteten die Teilnehmenden Fotos von traurigen Personen mit unterschiedlichen Pupillengrößen, passte sich ihre eigene Pupillengröße der auf dem Foto zu sehenden an. Die Fotos stimulierten ein spezielles Areal im Hirn, welches für die unbewusste Steuerung der Pupillengröße zuständig ist. Die Anpassung erfolgte unabhängig davon, ob die Person Mitleid mit den zu sehenden Personen empfand oder nicht.4
Gefühlsansteckung unter Tieren
Gefühlsansteckung ist nicht nur beim Menschen zu beobachten, sondern auch bei Tieren. Speziell bei solchen, die in sozialen Gruppen leben. Durch Elektroschocks verängstigte Ratten übertragen ihre Angst im Nachhinein auf Artgenossen, welche selbst keinerlei schlechte Erfahrungen gemacht haben.5 Auch zu der Stimmungsübertragung zwischen Mensch und Hund gibt es bereits einige Veröffentlichungen. So zeigten laut einer Fragebogenstudie die Hunde von Halter/innen mit ausgeprägter Ängstlichkeit häufiger ängstliches Verhalten.
Übertragung von Stress
Neben positiven und negativen Emotionen scheint auch Stress übertragbar zu sein. Konfrontationen mit belastenden Situationen und Reizen lösen spezielle körperliche Reaktionen aus, die Stressreaktion. Die Auswirkungen der Stressreaktion sind auf verschiedene Art und Weise messbar. So können die Konzentration des Hormons Cortisol im Blut oder im Haar, die Herzfrequenz oder die Schweißmenge Aufschluss über die Stressbelastung geben. Diese vor allen Dingen zwischen Eltern und Kindern intensiv erforschte Stressübertragung findet möglicherweise auch zwischen Hunden und ihren Besitzer/innen statt. In einer ungarischen Studie stieg das Stresslevel und sank die Konzentrationsleistung von Hunden, deren Besitzer/innen vorher ohne Anwesenheit des Hundes experimentell gestresst wurden.6
In einer weiteren Studie aus Schweden interessierten sich die Forscher/innen für den Cortisolgehalt in den Haaren von Hunden und deren Menschen.7 Der Haar-Cortisolgehalt gibt Aufschluss darüber, wie stark und häufig das dazugehörige Individuum gestresst war. Dabei zeigte sich: Die untersuchten Cortisolwerte wiesen zwischen Hund und Halter/innen Ähnlichkeiten auf. Menschen mit hoher Stressbelastung besaßen demzufolge auch öfter gestresste Hunde. Besonders deutlich zeigte sich dieser Zusammenhang bei Hund-Mensch Teams, die intensiv gemeinsam für Sportwettbewerbe trainierten, also viel Zeit miteinander verbrachten. Bei den Tieren handelte es sich jedoch ausschließlich um Hütehunde der Rassen Border Collie und Sheltie.
Sensible Hütehunde vs.unabhängige und ursprüngliche Hunderassen
Die bisherige Untersuchung zur langfristigen Gefühlsansteckung und Stressübertragung beinhaltete nur Hütehunde. Daher widmete sich ein Forscherteam dem Vergleich zwischen Hütehunden und Hunderassen, die anders als die Hütehunde unabhängig vom Mensch arbeiten oder zu den genetisch dem Wolf näher stehenden ursprünglichen Rassen gehören. Würden diese zwei eher von Menschen unabhängige Hundetypen eine geringere Reaktion auf die Stressbelastung ihrer Halter/innen zeigen?8
Hierfür rekrutierten die Wissenschaftler/innen 24 Hunde vom Urtyp, darunter Shiba Inus, Huskies, Samojeden und Akita Inus sowie 18 unabhängig vom Menschen jagende Hunde wie Schwedische Elchhunde, Laikas, Dackel und den Norbottenspitz. Diese Rassen wurde nicht in einem so großen Ausmaß auf die Kooperation mit dem Menschen selektiert wie die Hütehunde. Die Besitzer/innen füllten mehrere Fragebögen zur ihren eigenen Persönlichkeitsmerkmalen sowie denen der Hunde aus. Um die Stressbelastung von Mensch und Hund zu messen, wurden der Gehalt vom Stresshormon Cortisol in deren Haaren ermittelt.
Ergebnis
Während es in vorangegangenen Studien Hinweise auf die Übertragung des menschlichen Stresslevels auf Hütehunde gab, fehlen diese hier. Die an wenigen Tieren erhobenen Daten deuten an, dass die Hunde ursprünglicher oder unabhängig vom Menschen arbeitender Rassen weniger empfänglich auf den Stress ihrer Besitzer/innen reagieren. Eine Übertragung des Stresslevels vom Menschen auf den Hund konnte nicht ausfindig gemacht werden.
Weiterhin interessant: In zahlreichen Arbeiten wiesen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale des Menschen einen Zusammenhang mit der Stressbelastung des Hundes auf. Diese Beobachtung konnte auch bei den unabhängig vom Menschen jagenden Hunden gemacht werden. Die Jagdhunde, deren Menschen hoher Ausprägung bei der Persönlichkeitseigenschaft “Verträglichkeit”aufwiesen, zeigten geringere auf Langzeitstress hindeutende Werte. Ausgeprägt verträgliche Menschen zeigen sich sehr freundlich und hilfsbereit gegenüber anderen Menschen. Bei den ursprünglichen Hunderassen wie dem Akita Inu oder Husky gab es keinen solchen Zusammenhang.
Fazit
Einige Hunde scheinen verstärkt die Tendenz zu besitzen, sich an die Gefühlslage des Besitzer/innen und an dessen Stresslevel anzupassen. Die Hunde von stark gestressten Menschen weisen in diesem Fall auf eine hohe Stressbelastung hinweisende Hormonwerte auf. Das bei Hütehunden beobachtete Phänomen trat bei Hunden des Urtyps und unabhängig vom Menschen arbeitenden Jagdhunden jedoch nicht auf. Sie sind möglicherweise weniger empfänglich für die Stressbelastung ihrer Besitzer/innen oder zeigen sich diesen robuster gegenüber.
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Totterdell, P. (1999). Mood scores: Mood and performance in professional cricketers. British Journal of Psychology, 90, 317-332. ↩
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Kelly, J. R., Iannone, N. E. and McCarty, M. K. (2016), Emotional contagion of anger is automatic: An evolutionary explanation. Br. J. Soc. Psychol., 55: 182-191. doi:10.1111/bjso.12134 ↩ ↩
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Auerbach, S. M. (1973). Trait-state anxiety and adjustment to surgery. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 40, 264-271 ↩
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Harrison NA, Singer T, Rotshtein P, Dolan RJ, Critchley HD. Pupillary contagion: central mechanisms engaged in sadness processing. Soc Cogn Affect Neurosci. 2006 Jun;1(1):5-17. doi: 10.1093/scan/nsl006. PMID: 17186063; PMCID: PMC1716019. ↩
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Knapska, E., Mikosz, M., Werka, T., & Maren, S. (). Social modulation of learning in rats. Learning & memory (Cold Spring Harbor, N.Y.), 17(1), 35–42. ↩
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Sümegi, Z., Oláh, K. & Topál, J. Emotional contagion in dogs as measured by change in cognitive task performance. Appl. Anim. Behav. Sci. 160, 106–115 (2014). ↩ ↩
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Long-term stress levels are synchronized in dogs and their owners", Ann-Sofie Sundman, Enya Van Poucke, Ann-Charlotte Svensson Holm, Åshild Faresjö, Elvar Theodorsson, Per Jensen and Lina S . V. Roth, 2019, Scientific Reports, published online June 6, 2019 ↩ ↩
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Höglin, A., Van Poucke, E., Katajamaa, R. et al. Long-term stress in dogs is related to the human–dog relationship and personality traits. Sci Rep 11, 8612 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-88201-y ↩