Wie die Persönlichkeit die Wahrnehmung von Schmerzen beeinflusst

Anna Pietschmann

am Samstag, 3 November 2018

Hunde können uns nicht sprachlich mitteilen, ob sie unter Schmerzen leiden. Sie sind daher auf einen Menschen angewiesen, der ihre Schmerzen erkennen und behandeln kann. Mittlerweile ist bekannt, dass das Wohlbefinden von Tieren durch Schmerzen deutlich beeinträchtigt wird. Die Fähigkeit von Hundebesitzern, Schmerzgeschehen bei ihren Hunden wahrzunehmen, hat also einen großen Einfluss auf deren Lebensqualität.

Warum ist Schmerzerkennung wichtig?

Ob ein Hund Schmerzen hat, wird im Alltag anhand seines Verhaltens beurteilt. Andere Mittel stehen Besitzern auch oft nicht zur Verfügung. Das führt zu einigen Schwierigkeiten. Denn sämtliche Bewertungen zum Schmerzzustand unterliegen persönlichen Interpretationen. Jeder Mensch und jeder Hund hat individuelle Eigenschaften.1 Diese beeinflussen, ob und wie Schmerzen des Vierbeiners wahrgenommen werden. Welchen Einfluss die Persönlichkeit auf das Einschätzen von Schmerzen hat, ist Thema zweier Studien. Die erste beschäftigt sich dabei mit der menschlichen, die zweite mit der hündischen Persönlichkeit.

Wie genau Persönlichkeit definiert wird, unterscheidet sich innerhalb der verschiedenen psychologischen Disziplinen. Ein gemeinsamer Nenner ist die Sicht, dass es sich bei der Persönlichkeit um eine Menge verschiedener, individueller Denkmuster und Einstellungen handelt. Diese bleiben über längere Zeiträume stabil und beeinflussen das charakteristische Denken, Handeln und Fühlen eines individuellen Menschen. Die Merkmale der Persönlichkeit erklären also, zumindest teilweise, warum sich eine Person gerade so und nicht anders verhält.

Persönlichkeit des Halters

Im Rahmen einer norwegischen Studie untersuchten Forscher/innen, welche Faktoren die menschliche Wahrnehmung von Schmerzen bei Hunde beeinflussen. Hierfür werteten sie vier unterschiedliche Fragebögen norwegischer Hundebesitzer/innen aus. Insgesamt lagen zur Auswertung 1896 Umfragen vor. Die Stichprobe setzte sich aus 33 Prozent Hundebesitzern und 67 Prozent Hundebesitzerinnen zusammen. Die Großteil von ihnen lebte in Vorstädten und hielt hauptsächlich verschiedene Jagdhundrassen. 80 Prozent der Befragten gingen zudem mit ihren Hunden in eine Hundeschule.

Im ersten Teil der Befragung wurden grundlegende Informationen zu den Wohnverhältnissen, zu bisherigen Erfahrung im Umgang mit Tieren sowie zur Art und Nutzung des Hundes gestellt.

Der zweite Teil bestand aus der Pet Attitude Scale. Mit diesem Fragebogen werden die Gefühle gegenüber Haustieren bemessen und er besteht aus einer Ansammlung von Aussagen. Die Befragten geben dann an, wie zustimmend, ablehnend oder neutral sie den Aussagen gegenüber stehen. Beispiele für die zu bewertenden Sätze sind Äußerungen wie „Mein Haustier bedeutet mir mehr als meine Freunde“, „Haustiere sind Geldverschwendung“, „Haustiere machen mich glücklich“ oder „Haustiere sollten ausschließlich draußen gehalten werden“. Je höher die in diesem Test ermittelte Punktzahl ist, desto positiver ist die Einstellung gegenüber Haustieren.

Wie stark die Empathie gegenüber Tieren ist, erfasst die Pet Empathy Scale, welche den dritten Teil der Studie bildete. Die Empathie kann als Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst werden. Sie wird als Fähigkeit zum Verständnis und zum Erkennen der Gefühle und des Verhaltens anderer angesehen. 23

Auch bei der Pet Empathy Scale wird die Zustimmung oder Ablehnung zu insgesamt 22 Aussagen bemessen. Beispiele für die zu bewertenden Ansichten sind: „Mich nerven Hunde, die heulen und bellen, wenn sie alleine gelassen werden, „Es ist albern, sich zu eng an ein Tier zu binden“, „Viele Personen geben ihren Tieren zu viel Zuneigung“ und „Ich würde immer versuchen zu helfen, wenn ich einen ausgesetzten Hund oder Welpen finden würde“.

Im letzten Teil sollten die Probanden beurteilen, wie hoch sie das Schmerzlevel der Hunde von verschiedenen Bildern bewerten würden. Als zu beurteilende Grundlage dienten 17 Fotos von Hunden in akut schmerzhaften Situationen, z.B. solche mit einem Stock im Auge oder mit einem Tumor an den Gliedmaßen.

Empathie hilft

Die analysierten Daten der Studie ergaben tatsächlich, dass verschieden Faktoren die Fähigkeit zur Schmerzerkennung beeinflussen könnten So schnitten Frauen im Durchschnitt besser darin ab als Männer, schmerzhafte Situationen zu erkennen. Schlechtere Ergebnisse wiesen hingegen Halterinnen und Halter von Hunden auf, welche diese ausschließlich als Jagdgebrauchshunde hielten. Der entscheidendste Faktor bestand jedoch im Grad der Empathie.

Je höher die gemessene Empathie Tieren gegenüber war, desto besser konnten die Probanden schmerzvolle Zustände bei den Hunden erkennen und einordnen.4

Persönlichkeit des Hundes

Ob auch die Persönlichkeit des Hundes die Schmerzwahrnehmung beeinflusst? Diese Frage verfolgten zwei britische Wissenschaftler. Sie stellten in einer vorhergehenden Untersuchung fest, dass es bei Pferden ein solche Beeinflussung durch die Persönlichkeit durchaus zu geben scheint. Dabei geht es hauptsächlich um die Stärke und Vehemenz der Schmerzäußerungen.

Zu dieser Thematik gibt es bereits umfangreiche Erkenntnisse beim Menschen. Personen mit einer stark zur Extraversion neigenden Persönlichkeit zeichnen sich durch deutliche, dramatische Schmerzäußerungen aus. Extraversion ist charakterisiert durch Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Offenheit für andere, Abenteuerlust, Lebendigkeit und Impulsivität. Durch auffällig demonstrierte Schmerzanzeichen übersehen außenstehende Menschen folglich viel seltener bestehendes Leiden bei diesem Persönlichkeitstyp. Der Gegenpol zur Extraversion ist die Introversion. Eher introvertierte, also zurückhaltende, nach innen gerichtete Menschen zeigen Schmerzen häufig deutlich weniger intensiv und nur schwer wahrnehmbar an.

In der Studie wurde bei den 17 teilnehmenden Hunden ein Persönlichkeitstest durchgeführt, der Monash Canine Personality Questionare Dieser Test enthält 75 Fragen an den Halter und ermittelt verschiedene Persönlichkeitsdimensionen des Hundes. Hunde mit hohen Werten bei der Extraversion sind aktiv, leicht aufreg- und motivierbar sowie unruhig.

Die hündischen Probanden bestanden ausschließlich aus für eine Kastration angemeldeten Tieren. Um Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Ausdruck von Schmerzen ziehen zu können, erfolgten nach der OP mehrere Videoaufnahmen. Diese beurteilte dann einer der Wissenschaftler anhand eines standardisierten Protokolls zur Schmerzbeurteilung. Zusätzlich sollten die Besitzer im Vorhinein abschätzen, wie stark ihr Hund ihrer Meinung nach Schmerzen äußern würde.

Bei der Analyse der Ergebnisse war der Trend erkennbar, dass die Hunde deutliche Verhaltensunterschiede durch die Schmerzen zeigten. Das ist insofern eine interessante Beobachtung, weil der Schmerz der Hunde durch die gleiche Operation unter gleichen Bedingungen ausgelöst wurde. Somit sollte die reine Schmerzintensität bei allen Tieren der Studie sehr ähnlich gewesen sein. Die Reaktionen darauf unterschieden sich jedoch.5

Hunde, die im Test hohe Werte bei der Extraversion aufwiesen, zeigten wesentlich deutlicher und mehr Schmerzanzeichen als die anderen Tiere. Das deutet auf ähnliche Unterschiede bei der Äußerung von Schmerzen hin, wie sie bei Menschen und Pferden vorzufinden ist. Introvertierte Hunde litten hingegen eher still. Bei diesem Hundetyp könnte also vermehrt die Gefahr bestehen, Schmerzen zu übersehen.

Ein bemerkenswerter Nebenbefund der Studie ist, dass die wenigsten Hundebesitzer die Schmerztoleranz ihrer Hunde korrekt einschätzten. Hier unterschieden sich die Hundehalter deutlich von Pferdebesitzern in einer Untersuchung mit ähnlichem Aufbau.6Die Halter der Pferde konnten akkurat voraussagen, wie stark die Schmerztoleranz ihrer Tiere sein würde. Die Wissenschaftler vermuten an dieser Stelle, dass die Ursache für diesen Befund in den unterschiedlichen Haltungszwecken liegen könnte. Das Bewusstsein für Schmerzen und Schmerzäußerungen ist möglicherweise bei Pferdebesitzern größer, weil die Pferde als Reittiere verwendet werden. Um sie dafür verwenden zu können, ist Schmerzfreiheit und das Wissen um mögliche Anzeichen für Beschwerden des Bewegungsapparats von entscheidender Bedeutung.

In verschiedenen Studien stellte sich bereits heraus, dass Hundebesitzer oft nur bedingt erkennen, wenn ihr Hund unter Schmerzen leidet.7 Wird aber durch gezielte Schulung das Bewusstsein für Schmerzanzeichen gefördert, verbessern Halter die Fähigkeit, Beschwerden bei ihren Hunden wahrzunehmen.8

Fazit

Wie Schmerzen bei einem Hund wahrgenommen werden, wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Positive Erwartungen gegenüber einer Therapiemaßnahme können dazu führen, dass man eine Verbesserung der Schmerzzustände wahrnimmt, obwohl sich objektiv nichts verbessert hat. Durch den täglichen, intensiven Kontakt mit dem Hund können Gewöhnungseffekte entstehen, die einen als Hundebesitzer dezente Lahmheiten gar nicht mehr sehen lassen.7 Zusätzlich scheinen auch verschiedene Persönlichkeitsmerkmale von Mensch und Hund die Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen. So besteht bei introvertierten Hunde vermutlich ein erhöhtes Risiko, dass ihre Schmerzen übersehen werden.

Die Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie wichtig objektive Mittel zur Beurteilung von Schmerzen sind. Dazu gehören Maßnahmen wie Videoaufnahmen, standardisierte Fragebögen, Messungen der Gliedmaßenumfänge oder Kraftmessplatten, welche erfassen, welche Gliedmaße entlastet wird.

  1. HSU, Y.; SERPELL, J.A. Development and validation of a questionnaire for measuring behavior and temperament traits in pet dogs. Journal of American Veterinary Medical Association, v.223, p.1293-1300, 2003.

  2. Liska, J. (1990). Dominance-seeking strategies in primates: an evolutionary perspective. Human Evolution, 5 (1), 75-90.

  3. Empathie als Persönlichkeitsmerkmal: Kunyk, D., & Olson, J. K. (2001). Clarification of Conceptualizations of Empathy. Journal of Advanced Nursing, 35, 317-325.

  4. The Relationship Between Empathy, Perception Of Pain and Attitudes Toward Pets Among Norwegian Dog Owners Kristian Ellingsen-Adroaldo Zanella-Ellen Bjerkås-Astrid Indrebø - Anthrozoös - 2010

  5. Lush J and Ijichi C. A preliminary investigation into personality and pain in dogs. Journal of Veterinary Behavior 2018; 24, 62-68.

  6. Ijichi, C., Collins, L.M., Elwood, R.W., 2014. Pain expression is linked to personality in horses. Appl. Anim. Behav. Sci. 152, 38e43

  7. Brown, D.C., Boston, R.C., Farrar, J.T., 2013. Comparison of force plate gait analysis and owner assessment of pain using the canine brief pain inventory in dogs with osteoarthritis. J. Vet. Intern. Med. 27, 22e30

  8. Hielm-Björkman, A.K., Kapatkin, A.S., Rita, H.J., 2011. Reliability and validity of a visual analogue scale used by owners to measure chronic pain attributable to osteoarthritis in their dogs. Am. J. Vet. Res. 72, 601e607